Mittwoch, 26. April 2017

Heute vor 128 Jahren – 26. April 1889: Ludwig Wittgenstein wird geboren

Wittgenstein entstammt der österreichischen, früh assimilierten jüdischen Industriellenfamilie Wittgenstein, deren Wurzeln in der deutschen Kleinstadt Laasphe im Wittgensteiner Land liegen. Er war das jüngste von acht Kindern des Großindustriellen Karl Wittgenstein und seiner Ehefrau Leopoldine, die aus einer Prager jüdischen Familie stammte (geb. Kalmus). Karl Wittgenstein gehörte zu den erfolgreichsten Stahlindustriellen der späten Donaumonarchie, und das Ehepaar Wittgenstein wurde zu einer der reichsten Familien der Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende. Der Vater war ein Förderer zeitgenössischer Künstler, die Mutter eine begabte Pianistin. Im Palais Wittgenstein verkehrten musikalische Größen wie Clara SchumannGustav MahlerJohannes Brahms und Richard Strauss.
Wittgenstein wurde katholisch erzogen. Er selbst wie auch seine Geschwister zeichneten sich durch außerordentliche musische und intellektuelle Fähigkeiten aus. Ludwig Wittgenstein spielte Klarinette. Sein Bruder Paul verlor im Ersten Weltkrieg den rechten Arm und machte dennoch als Pianist Karriere. Diesen Talenten stand eine problematische psychische Konstitution gegenüber: Drei seiner sieben Geschwister begingen Selbstmord (Hans, Rudolf, Kurt). Auch Wittgenstein zeigte, insbesondere nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, depressive Züge. Im Kontakt zu anderen soll er teils autoritär und rechthaberisch, teils auch übersensibel und unsicher gewirkt haben.Ein entfernter Großcousin von Wittgenstein war der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich August von Hayek.
Wittgensteins intellektuelle Erziehung begann mit häuslichem Privatunterricht in Wien. Ab 1903 bis 1906 besuchte er die K. k. Staats-Realschule in LinzAdolf Hitler hat die Schule davor von 1900 bis 1904 besucht. Am 28. Oktober 1906 immatrikulierte Wittgenstein sich an der Technischen Hochschule Charlottenburg. Ursprünglich hatte er bei Ludwig Boltzmann in Wien studieren wollen. Für Berlin entschied sich Wittgenstein, weil sein Realschulzeugnis ihm die Einschreibung an der Universität erst nach einem weiteren Studium erlaubte. Dort beschäftigte sich Wittgenstein, so seine Schwester Hermine in ihren Familienerinnerungen, „viel mit flugtechnischen Fragen und Versuchen. [Und weiter:] Zu dieser Zeit oder etwas später ergriff ihn plötzlich die Philosophie, d. h. das Nachdenken über philosophische Probleme, so stark und so völlig gegen seinen Willen, dass er schwer unter der doppelten und widerstreitenden inneren Berufung litt und sich wie zerspalten vorkam.“
Nach dem Abschlussdiplom als Ingenieur 1908 ging Wittgenstein nach Manchester, wo er an der Universitätsabteilung für Ingenieurwissenschaften versuchte, einen Flugmotor zu bauen. Diesen Plan gab er jedoch bald auf. Danach arbeitete er an „Verbesserungsvorschlägen für Flugzeugpropeller“, einem Projekt, für das er am 17. August 1911 ein Patent erhielt. Schließlich dominierte die Philosophie: Nicht zuletzt auf Anregung Gottlob Freges, den er 1911 in Jena besuchte, nahm Wittgenstein ein Studium in Cambridge am Trinity College auf, wo er sich intensiv mit den Schriften Bertrand Russellsbeschäftigte, insbesondere mit den Principia Mathematica. Sein Ziel war es, wie bei Gottlob Frege die mathematischen Axiome aus logischen Prinzipien abzuleiten. Russell zeigte sich nach den ersten Begegnungen nicht beeindruckt von Wittgenstein: „Nach der Vorlesung kam ein hitziger Deutscher, um mit mir zu streiten […] Eigentlich ist es reine Zeitverschwendung, mit ihm zu reden.“ (16. November 1911.) Doch nach nicht einmal zwei Wochen sollte sich Russells Meinung ändern: „Ich fange an, ihn zu mögen; er kennt sich aus in der Literatur, ist sehr musikalisch, angenehm im Umgang (ein Österreicher), und ich glaube, wirklich intelligent.“[1] Schon bald hielt Russell Wittgenstein für höchst talentiert, und Russell war schließlich der Meinung, Wittgenstein sei geeigneter als er, sein logisch-philosophisches Werk fortzuführen. Russell urteilte über ihn
[Wittgenstein was]... one of the most exciting intellectual adventures [of my life]. ... [He had] fire and penetration and intellectual purity to a quite extraordinary degree. ... [He] soon knew all that I had to teach.
His disposition is that of an artist, intuitive and moody. He says[,] every morning he begins his work with hope, and every evening he ends in despair.His disposition is that of an artist, intuitive and moody. He says[,] every morning he begins his work with hope, and every evening he ends in despair.„[Wittgenstein war] ... eines der erregendsten intellektuellen Abenteuer [meines Lebens]. ...[Er hatte] Feuer und Eindringlichkeit und eine intellektuelle Reinheit in einem ganz außerordentlichen Ausmaß. ... Nach kurzer Zeit wusste [er] alles, was ich beizubringen hatte.Seine Verfassung ist die eines Künstlers, intuitiv und launisch. Er sagt von sich, dass er jeden Morgen voller Hoffnung beginne, aber jeden Abend in Verzweiflung ende.“– Bertrand Russell[2]
Unter anderem mit Russells Unterstützung wurde Wittgenstein im November 1911 in die elitäre Geheimgesellschaft Cambridge Apostles gewählt. In David Pinsent fand er dort seinen ersten Geliebten.[3] Sie erwarben gemeinsam ein Holzhaus in Skjolden in Norwegen, wo Wittgenstein 1913 für einige Monate an einem System der Logik arbeitete. Dass Wittgenstein homosexuell war, hatte zuerst sein Biograph William Warren Bartley 1973 auf Grund von Aussagen anonymer Freunde Wittgensteins und zweier in Geheimschrift verfasster Tagebücher öffentlich gemacht.[4]
Ab 1912 begann Wittgenstein mit Arbeiten an seinem ersten philosophischen Werk, der Logisch-philosophischen Abhandlung, die er bis 1917 in einem Tagebuch als Notizen festhielt. Auch während seiner Zeit als österreichischer Freiwilliger im Ersten Weltkrieg beschäftigte er sich weiter damit, bis er das Werk schließlich im Sommer 1918 vollendete.[5] Es erschien jedoch erst 1921 in einer fehlerhaften Version in der Zeitschrift Annalen der Naturphilosophie. 1922 wurde schließlich eine zweisprachige Ausgabe unter dem heute bekannten Titel der englischen Übersetzung veröffentlicht: Tractatus Logico-Philosophicus. Abgesehen von zwei kleineren philosophischen Aufsätzen und einem Wörterbuch für Volksschulen blieb die Logisch-philosophische Abhandlung das einzige zu Lebzeiten veröffentlichte Werk Wittgensteins.
Im Rahmen seiner Kontakte zu der von Ludwig von Ficker herausgegebenen Kulturzeitschrift Der Brenner und dem Innsbrucker „Brenner-Kreis“ lernte Wittgenstein Werke des Dichters Georg Trakl kennen. Im Juli 1914 beschloss Wittgenstein, sein beachtliches Erbe für wohltätige Zwecke zu verwenden. Gefördert wurde unter anderem Trakl mit einer einmaligen Summe von 20.000 Kronen. Auch war Wittgenstein indirekt in das Geschehen um den Tod Georg Trakls involviert. Auf Bitten Trakls, der sich nach einem Selbstmordversuch in einem Krakauer Garnisonsspital befand, reiste Wittgenstein am 5. November 1914 nach Krakau, um Trakl zu besuchen. Trakl war jedoch zwei Tage vor Wittgensteins Eintreffen in Krakau gestorben.[6]
Im Ersten Weltkrieg kämpfte Wittgenstein als österreichischer Soldat an der Ostfront in Galizien. Durch die guten familiären Kontakte nach England - insbesondere zu Bertrand Russell - war Wittgenstein durch den Vatikan, Freunde im neutralen Norwegen und der Schweiz in der Lage, mit Freunden auf der „anderen Seite“ in Briefkontakt zu bleiben. Bei Kriegsende wurde er bei Asiago von den Italienern gefangengenommen und in das Offiziersgefängnis in Monte Cassino gebracht. Sein englischer Freund John Maynard Keynes konnte sich als Mitglied der Friedenskonferenz in Paris für seine Freilassung einsetzen. Auch mit seinem Vetter, dem späteren Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek, mit dem er in Österreich und England in Kontakt stand, blieb er in Verbindung. Nach der Lektüre der Kurzen Darlegung des Evangeliums von Leo Tolstoi äußerte er gegenüber dem Freund Franz Parak den Wunsch, in Zukunft Kinder das Evangelium zu lehren. Durch die Schrecken des Krieges wurde er vom Logiker zum Mystiker im Sinne der „negativen Theologie“. So reifte in ihm der Plan, Volksschullehrer zu werden. (Ludwig Wittgenstein, Leben und Werk, Wikipedia, abgerufen am 05.04.2017)
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Zu dieser „Wiener Ausgabe“ kann man nur gut wienerisch sagen: „Na servas“ (ein Ausdruck großen Unglaubens und großer Bewunderung).

Die Suhrkamp-Bände sind vergnüglich lesbarer Text für die ernsthaften Lesens Kundigen, also doch für ziemlich einige. Die Springer-Bände, einer liegt schon vor, bieten ein minderheitlicheres Vergnügen. Indem sie die ungekürzte Fülle und das Gewimmel der Varianten hemmungslos darbieten, geraten sie zur Partitur einer Wittgenstein-Musik, die bisher unerhört war, voll des Zaubers der Wiederholung, Leidenschaft mal Mathematik, Todesernst mal Ironie, Fortschreiten quer durch Widersprüche bis zum Gegenteil hin und wieder retour.

Die Wittgenstein-Bände bei Suhrkamp, rügt Nedo, „vom Umfang ca. 20 Prozent seines Werkes ... greifen ... interpretierend in den Textbestand selbst ein und entsprechen so nicht den Kriterien der philosophischen Texttreue“. Nur seine Ausgabe, sagt Nedo, genüge der Wittgensteinschen Forderung (1945), „daß darin die Gedanken von einem Gegenstand zum anderen in einer natürlichen und lückenlosen Folge fortschreiten sollen ... gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf diesen langen und verwickelten Fahrten entstanden sind“.

Das heißt: Man kann Wittgenstein nur dann richtig verstehen, wenn man alle 30 000 Seiten Nachlaß gelesen hat; Weil man die aber nicht alle richtig lesen kann, kann man Wittgenstein auch nicht richtig verstehen. Daran ändert sich natürlich nichts, wenn Michael Nedos Titanen-, Sisyphus, Ariadne- und so weiter -Werk tatsächlich gelingen sollte, im Gegenteil, je genauer und umfangreicher Nedo ediert, desto schlimmer wird’s.

Wittgenstein aber hat vorgesorgt. 1943, bei einer geplanten Neuausgabe des „Tractatus logico-philosophicus“ ersetzte er das bisherige Motto – aus Hertz, Prinzipien der Mechanik, einen beruhigenden Satz, wie man „schmerzende Widersprüche entfernt“ – durch ein gegenteiliges Motto von Nestroy: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“

Eben.

mehr:
- Wittgenstein, ein Nestroy der Philosophie. Bemerkungen zur monumentalen „Wiener Ausgabe“ seines Nachlasses: Das Unaussprechliche ist unaussprechlich (Günther Nenning, ZON, 18.11.1994)
dazu auch:
- Philosophie: Woran Österreich sparen möchte (Andreas Wang, ZON, 15.01.2004)
- Studenten von früher: Ludwig Wittgenstein (Jan Greve, ZEIT Campus, 26.04.2016)
- Verbindungen I – 1905 (Post, 2009)

siehe auch:
- Taschenbuch: Beredtes Schweigen (Franz Schuh, ZON, 09.12.2016)
- "Ex Machina": Ach Mensch, Maschine (Daniel-C. Schmidt, ZON, 20.04.2015)
- Philosophie: Ganz kranke Familie (Eberhard Straub, ZON, 26.11.2009)
Philosophie: Der Sprengmeister (Thomas Assheuer, ZON, 24.11.2009)
- Medea und Wittgenstein: Zu einer Paolozzi-Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle (Gottfried Sello, ZEIT, 06.12.1968)

Bertrand Russell on Ludwig Wittgenstein {0:56}

Chris Swift
Veröffentlicht am 10.04.2012
Bertrand Russell on Ludwig Wittgenstein. The clip came from an episode of the BBC Radio 4 show "Great Lives", The whole show is still available online here: http://www.bbc.co.uk/programmes/b0184rgn


Wittgenstein: A Wonderful Life (1989) {48:53}

Veröffentlicht am 04.09.2015
From VHS. A BBC 'Horizon' film about the remarkable life of the Austrian philosopher Ludwig Wittgenstein. He was born in Vienna in 1889 and died in Cambridge in 1951, having turned philosophy upside down and inside out...

Ludwig Wittgenstein - Die Wahrheit der Worte (2002) {40:21}

Veröffentlicht am 18.08.2016
"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Ludwig Wittgenstein
Ludwig Wittgenstein (1889-1951) war ein österreichisch-britischer Philosoph. Er lieferte bedeutende Beiträge zur Philosophie der Logik, der Sprache und des Bewusstseins. Seine beiden Hauptwerke Logisch-philosophische Abhandlung (Tractatus Logico-Philosophicus 1920) und "Philosophische Untersuchungen" (1953, postum) wurden zu wichtigen Bezugspunkten zweier philosophischer Schulen, des Logischen Positivismus und der Analytischen Sprachphilosophie.
Im Jahr 1920 erschien das im Ersten Weltkrieg entstandene Werk "Traktatus Logico-Philosophicus", mit dem ein junger Philosoph namens Ludwig Wittgenstein glaubte, die Probleme der Philosopie gelöst zu haben. Als er sich jedoch in den Zwanzigerjahren anderen Pragmatischen Dingen zuwandte, als Gärtner, Architekt und Lehrer arbeitete, veränderte sich seine philosophische Position. Nicht mehr die mathematisch-exakte Beweisführung von sinnvollen und sinnlosen Aussagen beschäftigte ihn, sondern die Vielfältigkeit der Sprachwendungen im Alltag. Diese beiden extrem unterschiedlichen Positionen bilden den Keim dieses Films zu Ludwig Wittgenstein. Die Darstellung seines Lebens, verbunden mit entsprechenden Filmaufnahmen aus Wien, Niederösterreich und Cambridge, verdeutlicht die Spannung zwischen Früh- und Spätwerk. Hierzu und zur Bedeutung der Philosophie Wittgensteins im 20. Jahrhundert kommen Experten zu Wort (2002).
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