Mittwoch, 10. Juni 2015

Nirwana im Kernspin

Meditieren erhöht die Konzentration, verändert die Architektur des Gehirns und hilft bei Depressionen, sagt Ulrich Ott. Nun will er die Erleuchtung messen

Was passiert, wenn nichts passiert – wenn Menschen nur still dasitzen? »Veränderte Bewusstseinszustände« sind ein Lieblingsthema für Ulrich Ott. Seit sieben Jahren arbeitet er am Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen und erforscht dort Meditation.

Der 42-jährige bärtige Psychologe sitzt in einem spartanischen Büro – ein Tisch, ein Computer, ein Bücherregal, weiße Wände. Ott trägt Cordhosen und Socken in Birkenstocksandalen. In einer Ecke liegt ein Stapel Wolldecken, runde Kissen und ein Meditationsbänkchen. Er meditiert täglich. Im Dienst der Wissenschaft.

»Vielen Forschern ist nicht bewusst«, sagt Ott mit sanfter Stimme, »dass sie nur einen kleinen Teil der Realität wahrnehmen und ihr Bewusstsein ein limitierender Faktor bei der Arbeit ist.« Raum, Zeit, Subjekt und Objekt: All das seien Konstrukte, die Nervenzellen im Gehirn herstellen. Er sei »überzeugt, dass es andere Welten gibt«.

Jetzt hört sich Ott wie ein Esoteriker an. Doch er forscht nach wissenschaftlichen Kriterien. Er will herausfinden, was im Gehirn bei der Meditation geschieht. Warum Meditieren gegen Angststörungen und Depressionen helfen kann. Und welche Hirnregionen bei mystischen Erfahrungen aktiv werden. »Meditation ist angewandte Neurowissenschaft.« Seine Arbeitsgeräte: Elektroden zur Ableitung von Gehirnströmen an der Kopfhaut und der Kernspintomograf, ein Gerät, das die Hirndurchblutung seiner Versuchspersonen misst.

Ott ist katholisch. Doch zu vielen christlichen Dogmen hat er ein gespanntes Verhältnis. »Ich denke, Jesus Christus war ein erleuchteter Meister.« Mystik sei die überzeugendste Form von Religion, sagt er, »denn Mystik basiert nicht auf Glauben.« Mystiker – Yogis, Derwische und Einsiedlermönche – gingen nach dem Prinzip »Hypothese, Methode, Ergebnisse« vor. »Genau wie Wissenschaftler.« Bereits Gautama Siddhartha, der historische Buddha, habe vor 2500 Jahren gefordert: »Überprüfe selbst!«

Der Grundgedanke hinter der Meditation sei »eigentlich unspektakulär«, sagt der Neurowissenschaftler. Man versuche, sich nur auf den Moment zu konzentrieren. Diese – scheinbar simple – Fokussierung des Bewusstseins habe jedoch erstaunliche Konsequenzen. »Neueste Studien deuten darauf hin«, sagt Ott, »dass regelmäßiges Meditieren die Architektur des Gehirns verändert.«

mehr:
- Meditation: Kernspin im Nirwana (ZEIT Online, 02.02.2008)
»… meine sehr einfache aber doch wichtigste und profunde Lernerfahrung war die, das Glück nicht von außen kommt, nicht von außen kommen kann!!« (aus einen Leserkommentar)
siehe auch:
- Wissenschaftliche Studien über Meditation (Achtsamkeit und Meditation)


Anzahl der referierten wissenschaftlichen Publikationen zum Thema „Meditation“ in Fachzeitschriften 
während der letzten 50 Jahre (aus Ott 2010) [Quelle: Achtsamkeit und Meditation]
Matthieu Ricard vor dem Magnetresonanztomographen des Waisman Center der 
University of Wisconsin-Madison (USA). Rechts von ihm Prof. Richard J. Davidson, 
der Leiter des Centers (Bildnachweis am Ende des verlinkten Artikels)
Matthieu Ricard bei einer Gehirnuntersuchung mittels 
Elektroenzephalografie (EEG) am Waisman Center 
der University of Wisconsin-Madison, USA.
(Bildnachweis am Ende des verlinkten Artikels)
Zitat:
Es ist bekannt, dass die graue Substanz in allen Hirnregionen mit zunehmenden Alter immer mehr abnimmt. Bei einer Untersuchung von Pagnoni & Cekic (2007) an dreizehn Zen-Meditierenden mit mindestens drei Jahren Meditationserfahrung (verglichen mit einer entsprechend altersangepassten Kontrollgruppe) konnte festgestellt werden, dass dies bei den Meditierenden nicht der Fall ist. Auch bei Tests der Konzentration und der Reaktions-geschwindigkeit schnitten die Meditierenden über alle Altersgruppen gemittelt deutlich besser ab als die Vergleichsgruppe.

siehe auch:
- Freiheit bedeutet Kontrolle (Post, 19.04.2015)

Planet Wissen - Wie Meditation das Gehirn umbaut [58:22]

Veröffentlicht am 16.02.2015
Oft sind unsere Gedanken nicht bei dem, was wir gerade tun - oder wir hängen in Gedankenspiralen fest, können nicht abschalten, selbst wenn wir wollen. Meditation hilft, gelassener zu werden, den Geist zu beruhigen und im Hier und Jetzt zu leben - sogar anhaltend! Denn regelmäßiges Meditieren verändert das Gehirn, hat die Psychologin und Hirnforscherin Dr. Britta Hölzel herausgefunden. So lassen sich Stress, Depressionen, Angststörungen und sogar Schmerzen besser bewältigen und Menschen werden empathischer. Dr. Britta Hölzel "Meditation hilft uns, ein glücklicheres und erfüllteres Leben zu führen", davon ist die Psychologin Dr. Britta Hölzel überzeugt. Auf einer Indienreise nach dem Abitur entdeckt sie Yoga und Meditation für sich; seitdem lässt das Thema sie nicht mehr los. Sie meditiert täglich und untersucht als Wissenschaftlerin, wie Meditation auf das menschliche Gehirn wirkt. Ihr Ziel: Meditation aus der Räucherstäbchen- und Esoterikecke holen und die positiven Effekte durch handfeste Beweise wissenschaftlich belegen. Britta Hölzel lebt in München und hat dort ein "Zentrum für Achtsamkeit" initiiert.

Link-Tipps

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion MBSR ist ein wissenschaftlich erforschtes Programm zur Stressbewältigung, das in den 1970er Jahren von dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde. Die Abkürzung steht für Mindfulness-Based Stress Reduction, zu deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Die Seite des MBSR-MBCT-Verbandes informiert über das Konzept und bietet die Möglichkeit, nach Kursen und qualifizierten Lehrenden zu suchen.  http://www.mbsr-verband.de
Achtsamkeit in der Schule Vera Kaltwasser ist Lehrerin an einem Gymnasium in Frankfurt und Trainerin für QiGong und Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR). Sie hat ein Konzept entwickelt, mit dem Achtsamkeitsübungen in den normalen Schulalltag integriert werden können. Infos dazu und weiterführende Links gibt es auf ihrer Homepage.  http://www.vera-kaltwasser.de
Achtsamkeit in München Das Zentrum für Achtsamkeit ist ein Netzwerk von anerkannten Achtsamkeits- Kursleitern und bietet in München und Umgebung Kurse zur Kultivierung von Achtsamkeit und Mitgefühl im Alltag an.  http://www.center-for-mindfulness.de

Literatur

Dr. Britta Hölzel
Die große Achtsamkeitsbox
5W-Verlag 2012
ASIN: 3942177153

Dr. Britta Hölzel
Achtsam schwanger, angstfrei entbinden
5W-Verlag, Oktober 2014

Vera Kaltwasser
Achtsamkeit in der Schule. Stille-Inseln im Unterricht: Entspannung und Konzentration
Beltz-Verlag 2013
ISBN: 978-3407626318

Dr. Ulrike Anderssen-Reuster
Achtsamkeit. Das Praxisbuch für mehr Gelassenheit
Trias-Verlag 2013
ISBN: 978-3-8304-6651-2

Zen and the Brain [1:06:28]

Hochgeladen am 14.10.2011
Google Tech Talk (more below)

November 8, 2010


Zen and the Brain


Presented by Dr James Austin

ABSTRACT



What has been learned about the brain that helps understand how selfless insight-wisdom can develop on the long-term meditative path? Recent brain-imaging research clarifies the relationships between two key issues: 1) How we use both top-down and bottom-up modes of attentive processing; and 2) How we constructed an egocentric Self so strong that it so often generates suffering.

Speaker Info: James H. Austin



James H. Austin is Emeritus Professor of Neurology, University of Colorado Health Sciences Center. Austin is the author of his well known book Zen and the Brain, which aims to establish links between the neurological workings of the human brain and meditation. Austin has written two sequels to it: Zen-Brain Reflections (February, 2006), and Selfless Insight (2009). He was student of the late Rinzai roshi Kobori Nanrei Sohaku.

aktualisiert am 22.07.2015

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