Sonntag, 13. November 2011

Patienten und Psychotherapeuten auf dem Prüfstand – Wie kommt es überhaupt dazu?

Die Psychotherapie muss in einer organmedizinisch ausgerichteten Gesundheitsversorgung ihren Platz stets in besonderer Weise erkämpfen und behaupten. Erstmals 1966 gelang es aufgrund der wegweisenden Arbeiten von Dührssen und Jorswieck die Wirtschaftlichkeit und Nützlichkeit psychotherapeutischer Behandlung nachzuweisen. Daraufhin wurde Psychotherapie als Kassenleistung in Deutschland eingeführt. Behandler waren zunächst nur ärztliche Psychotherapeuten und dann auch wegen verstärkter Bedarfsnachfrage – mit Hilfe ärztlicher Delegation – entsprechend qualifizierte Psychologen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Gleich zu Beginn wurden als Regelwerk die „Psychotherapierichtlinien“ entwickelt, nach denen Psychotherapie nur auf Antrag und eine Langzeittherapie nur nach Einschalten eines Gutachters und einer anschließenden Genehmigung durch die Krankenkasse durchgeführt werden konnte. Bis heute verfasst jeder Psychotherapeut über seine Patienten einen ausführlichen anonymisierten Bericht an einen psychotherapeutischen Gutachter, indem er die Problematik und Symptomatik des jeweiligen Patienten, seine Krankheitsgenese, die verhaltenspsychologischen oder psychodynamischen Bedingtheiten der Erkrankung sowie den Behandlungsplan und die Prognose ausführlich auf 3 bis 5 Seiten darlegt.

Zunächst galten als hier zugelassene Psychotherapieverfahren nur die „tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ und die „analytische Psychotherapie“, später kam dann die „Verhaltenstherapie“ dazu. Die beantragten Therapien werden jeweils nur für bestimmte Sitzungskontingente genehmigt, beispielsweise für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bis zur 25. Sitzung, dann bis zur 50. und 80., in Ausnahmefällen bis zur 100. Sitzung – jeder Verlängerungsschritt erfordert ein erneutes Gutachterverfahren. Bei der analytischen Psychotherapie liegt die maximale Obergrenze bei 300 Std., wobei eine solche Therapie dann bei 2 oder 3 Wochenstunden mehrere Jahre dauern kann. Damit war und ist die Psychotherapie eine der wenigen medizinischen Maßnahmen, die schon vorab einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen wird.

Da die Behandlungskapazitäten einschließlich der im Delegationsverfahren tätigen Psychotherapeuten aber bei weitem nicht ausreichten, entstand außerhalb des KV- Systems daneben die so genannte „Erstattungs-Psychotherapie“, die die Kassen zusätzlich und meist sogar besser bezahlte, als die Psychotherapie im Delegationsverfahren und die sich aufgrund des wachsenden Bedarfs immer mehr ausweitete. Dieser Missstand wurde dann durch das Psychotherapeutengesetz 1999 beseitigt, durch das entsprechend qualifizierte Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten voll zugelassene Behandler und Mitglieder der kassenärztlichen Vereinigungen werden konnten.
Obwohl schon zu Zeiten der Delegationspsychotherapie die Psychotherapeuten – unter Vorreiterrolle des bvvp – in den KVen vor Gericht für angemessene Honorare kämpfen mussten und letztlich vor dem Bundessozialgericht gewannen, ging der Streit um das Geld in den KVen nach der Integration erst richtig los: Die zwangsweise in das System integrierten Erstattungsbehandler brachten aufgrund politischer Vorgaben leider zu wenig Geld mit. (Auch hier hat der bvvp früh gewarnt, wurde aber nicht gehört.) Das ist u.a. ein Grund, warum die Psychotherapeuten bis heute noch immer keine angemessene Stundenhonorierung in der GKV erreichen konnten, die es z.B. einem durchschnittlich ausgelasteten Psychotherapeuten ermöglicht, ungefähr so viel zu verdienen, wie ein durchschnittlich ausgelasteter Organmediziner.

Auch heute noch blühen Vorstellungen und Vorurteile gegenüber Psychotherapeuten, ihre Patienten seien gar nicht richtig krank, und die Behandler würden ihr Geld mit letztlich nicht notwendigen Gesprächen leicht verdienen. Und dazu passend verbreiten Funktionäre der anderen Arztgruppen im KV-System die Mär, dass die Psychotherapeuten ihnen Geld wegnähmen.

Auch Krankenkassen wünschen sich regelhaft mehr Kontrolle über das, was in der psychotherapeutischen Versorgung passiert und vermuten, dass v.a. an der Langzeittherapie gespart werden könne. Sie beklagen weiter z.T. angebliche regionale Überversorgung, würden gern die Versorgung umlenken zu mehr Kurzzeitbehandlung auf Kosten von Langzeittherapien und sehen das Gutachterverfahren als uneffektiv an, weil doch die allermeisten Therapieanträge von den Gutachtern befürwortet würden. Dabei wird jedoch stets ausgeblendet, dass Behandlungsindikation und Bericht an den Gutachter von hoch qualifizierten Psychotherapeuten erstellt werden, so dass gerade das Gutachterverfahren für Qualität sorgt, indem unzureichend begründbare Anträge gar nicht erst gestellt werden.

Diese Zweifel am Nutzen und der Wirtschaftlichkeit der Psychotherapie und am Sinn des Gutachterverfahrens sind der Hintergrund des auf unserem bvvp-Symposium zu diskutierenden „TK-Modellprojekts“. Die Techniker Krankenkasse (TK) wollte mit diesem Modell prüfen, ob sich nicht bessere Methoden finden lassen, die Nützlichkeit und Notwendigkeit von Psychotherapie bzw. ihrer Fortsetzung zu prüfen. Die kaum verheimlichte Erwartung der TK war, dass sich mit computergestütztem Qualitätsmonitoring Therapien verkürzen oder sogar verhindern lassen, weil das Gutachterverfahren weder evidenzbasiert noch objektiv, dafür aber teuer, umständlich und insgesamt völlig überholt sei. Genau dieser Nachweis ist aber nicht gelungen. Darüber hinaus wurde aber schlagend bewiesen, dass mit Psychotherapie psychisch schwer kranke Patienten behandelt und geheilt werden können und dass die Psychotherapie-Anwendung ökonomisch sehr sinnvoll ist.
Quelle: bvvp: Dr. F.R. Deister, 15.08.11