Montag, 12. September 2011

Selbstkontrolle und Lebenserfolg

Zusammenhang zwischen Selbstkontrolle in der Kindheit und
dem Einkommen im Alter von 32 Jahren (nach Daten aus 11,
S. 2696). Wiederum blieb dieser Zusammenhang auch dann
hoch signifikant bestehen (p < 0,002), wenn man den IQ und
die wirtschaftlichen Verhältnisse (SES) herausrechnete.
Je geringer die Selbstkontrolle in der Kindheit, desto größer die Chance, als Erwachsener einmal straffällig geworden zu sein. Interessant ist, dass sogar die Selbstkontrolle im Kindergartenalter (festgestellt durch einen Beobachter während der Testungen im Alter von drei und fünf Jahren) bereits Effekte auf Gesundheit, Wohlstand und Kriminalität im Erwachsenenalter zeigen, dass die festgestellten Zusammenhänge also über sehr lange Zeiträume wichtig sind. Man konnte anhand der Daten sogar Hinweise darauf gewinnen, dass eine Verbesserung der Selbstkontrolle von der Kindheit ins junge Erwachsenenalter (wie man sie bei einem Teil der Teilnehmer beobachten konnte) einen positiven Effekt auf Gesundheit, Wohlstand und Kriminalität hat.
Damit ist auch klar: Wenn man in frühen Jahren, in Kindergarten und Grundschule, die Selbstkontrolle trainieren könnte, hätte dies deutliche Auswirkungen auf den gesamten Verlauf des weiteren Lebens gerade derjenigen Menschen, die in dieser Hinsicht Probleme haben. Und eines kommt hinzu: Da man in den Daten eine lineare Beziehung zwischen dem Ausmaß an Selbstkontrolle und praktisch allen gemessenen Größen findet, schadet ein solches Training niemandem. Jeder profitiert, denn auch das Kind mit guter Selbstkontrolle kann durch Training noch besser werden und damit Gesundheit, Bildung und Wohlstand für sich als erwachsenem Menschen weiter verbessern und das Risiko von Dummheiten in der Jugend oder gar von Kriminalität im Erwachsenenalter aktiv verkleinern. Wer wollte das nicht?
[…]
Lassen wir im Hinblick auf die Bedeutsamkeit der vorgestellten Tatsachen abschließend die Autoren (11, S. 2698, Übersetzung durch den Autor) selbst zu Wort kommen: „Zwei in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten geborene Kohorten stützen die Annahme, dass das individuelle Ausmaß der Selbstkontrolle einen bedeutsamen Einflussfaktor für Gesundheit, Wohlstand und öffentliche Sicherheit darstellt, der zudem durch entsprechende politische Rahmenbedingungen gefördert werden kann. Die Tatsache, dass es bei vielen Teilnehmern der Dunedin-Studie mit geringer Selbstkontrolle ungeplante Babys gab, die jetzt in Haushalten mit nur einem Elternteil und geringem Einkommen aufwachsen, zeigt, dass sich die geringe Selbstkontrolle einer Generation ungünstig auf die Chancen der nächsten Generation auswirkt. In der jüngeren Geschichte verzeich- nen wir eine deutliche Zunahme der menschlichen Lebenszeit, die jedem Menschen mehr planerische Aufmerksamkeit in Bezug auf die eigene Gesundheit und finanzielle Absicherung abverlangt, um langfristig Behinderung und Armut im Alter vorzubeugen. In der jüngeren Geschichte verzeichnen wir auch eine markante Steigerung der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Berufen mit wenig körperlicher Anstrengung, und schädlichen Suchtstoffen, der Einfachheit von Ehescheidungen, der Selbstverantwortung bei der finanziellen Alterssicherung sowie der Anzahl der Menschen in Gefängnissen. All diese historischen Veränderungen steigern die Bedeutung der Selbstkontrolle für ein modernes Leben, nicht nur für ein gutes Leben, sondern sogar für das Überleben.“

Zitat aus: Evans GW, English K. The environment of poverty: Multiple stressor exposure, psychophysiological stress and socioemotional adjustment. Child Dev 2002; 73: 1238–48.

aus dem neusten Editorial von Manfred Spitzer in der September-Ausgabe der Zeitschrift Nervenheilkunde